Radmarathon über 300 Kilometer: eine magische Marke

300 Kilometer mit dem Fahrrad an einem Tag: Das gehört zu den Dingen, die sich viele Menschen kaum vorstellen können, die ein begeisterter Radsportler aber als „magische Marke“ ansieht, die man einmal im Leben wenigstens versucht haben sollte. Gelegenheit dazu gibt es seit dem Jahr 2014 immer am letzten Mai-Wochenende in Neubrandenburg bei der Mecklenburger Seen-Runde. Nachdem der Bodensee-Radmarathon im vergangenen Jahr gut gelaufen war und Lust auf mehr gemacht hatte, hatte ich mich also entschlossen, den diesjährigen Saisonhöhepunkt auf die MSR zu legen und reiste am Freitag die mehr als 600 Kilometer nach Neubrandenburg an. Mit im Gepäck: Mehr als 3.000 gefahrene Trainingskilometer seit Jahresbeginn – ob das als Vorbereitung ausreichen würde, war eine der spannenden Fragen. Die andere betraf wie immer das Wetter: Frühlingshaft warm sollte es nicht werden, aber immerhin trocken bleiben, dazu blies ein kräftiger Westwind.

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Wer 300 Kilometer mit dem Fahrrad fahren will, muss früh aufstehen: In meinem Fall hieß das, um 3.40 Uhr aus dem Bett zu kommen, um wenigstens ein Brötchen und eine Tasse Kaffee zu sich zu nehmen, bevor ich mich um 4.45 Uhr im Startbereich einfinden musste. Zusammen mit rund 100 anderen Teilnehmern ging es um 4.50 Uhr los - gestartet wird in Blöcken mit einem Abstand von 10 Minuten. Die Geschwindigkeit spielt übrigens keine Rolle. Entscheidend ist nicht, wer als erster ankommt, sondern überhaupt das Ziel zu erreichen – Zeit dazu ist bis Mitternacht. Mein persönlicher Plan sah eine Ankunftszeit etwa um 20.20 Uhr, also noch vor dem Dunkelwerden, vor.

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Auf den ersten beiden Kilometern fährt ein Polizeiwagen vorneweg, und dann kommt auch schon die erste Steigung: Die Landschaft Mecklenburgs ist nämlich keineswegs flach, wie viele meinen, sondern ähnelt mit ihrem welligen Profil in etwa der Wetterau. Landschaftlich ist die Gegend ein Traum: Zahlreiche größere und kleinere Seen liegen am Wegesrand, die Strecke führt in leichtem Auf und Ab immer wieder durch Laubwälder – großartig! Die dünne Besiedelung bringt es außerdem mit sich, dass man den ganzen Tag auf praktisch verkehrsfreien Straßen fahren kann – besonders für Bewohner von Ballungsräumen wie mich ist das natürlich wunderbar. Dafür muss man hin und wieder Kopfsteinpflasterpassagen in Kauf nehmen, die sich insgesamt aber in Grenzen hielten. Nur auf dem Neustrelitzer Marktplatz wurde ich so durchgeschüttelt, dass ich mich einmal mehr frage, was John Degenkolb an Paris – Roubaix so toll findet.

In Feldberg, nach 40 Kilometern, wartete die erste Verpflegungsstation (die bei dieser Veranstaltung Depot genannt wird). Sechs weitere sollten im Laufe des Tages folgen, und es lohnte sich nicht, auch nur eine davon auszulassen: Von belegten Broten, Suppen, Nudeln und Obstsalat bis hin zu Kuchen, Schokolade, Cola und schwedischem Blaubeersaft fehlte es wirklich an nichts. Hunderte Helfer sind an diesem Tag auf den Beinen, um für die rund 3000 Teilnehmer alles vorzubereiten, und alle (wirklich ausnahmslos alle!) sind überaus freundlich und hilfsbereit. Unvergessen der kurze Dialog am letzten Depot: Ein Radler sagt zu den Frauen hinter dem Tresen: „Großartig - Ihr seid wirklich Helden hier!“ Diese schaut leicht irritiert auf und erwidert: „Aber Ihr doch auch!“ Was soll man dazu sagen …

Bis zur Hälfte der Strecke blies der kräftige Westwind tendenziell von vorn – zum Glück fanden sich aber immer wieder größere und kleinere Gruppen, in deren Windschatten das gar nicht besonders auffiel (außer natürlich für diejenigen, die vorne das Tempo machten, wozu ich aber zugegebenermaßen selten gehörte). Auf den letzten 100 Kilometern ging es dann permanent nach Osten – der Rückenwind leistete da bei allmählich einsetzender Müdigkeit durchaus wertvolle Hilfe. Ein Teilnehmer aus Mönchengladbach erzählte unterwegs, im vergangenen Jahr hätte Ostwind geherrscht – das will ich mir lieber gar nicht erst vorstellen… Dafür blieb es allerdings den ganzen Tag über ziemlich kalt, erst am späten Nachmittag ließ sich dann doch mal ab und zu die Sonne blicken. Spätestens nach 200 absolvierten Kilometern wartete ich darauf, dass irgendwo der Mann mit dem Hammer aus dem Gebüsch springt und Dong! macht, aber: Er kam nicht. Dafür hingen in den letzten Orten vor Neubrandenburg überall Banner an Zäunen und Häuserwänden: „Chemnitz grüßt die Teilnehmer der MSR 300!“ war da zu lesen, oder „Noch 20 Kilometer! Haltet durch!“ Nach 280 gefahrenen Kilometern ist das wirklich noch einmal eine Extra-Motivation. Dazu standen überall Menschen am Straßenrand, die über Stunden hinweg die Vorbeifahrenden anfeuerten – da kann natürlich wirklich niemand mehr ans Aufgeben denken!

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Um 19.30 Uhr passierte ich schließlich eine kleine Brücke im Neubrandenburger Kulturpark (mit einem winzigen, zum Schluss aber doch noch einmal herausfordernden Anstieg) und erreichte wenige Meter dahinter das Ziel, wo eine freundliche Helferin mit der Erinnerungsmedaille wartete. Müde, aber nicht vollkommen am Ende – so würde ich mal den physischen Zustand beschreiben. Mental war es ein großartiges Gefühl. Dank der fabelhaften Unterstützung, der guten Stimmung unterwegs und der perfekten Organisation war es ein wundervoller Tag und eine großartige Veranstaltung!